von Marko Martin:... Das allerdings wäre entschieden zu kurz gedacht, besteht doch die Aufgabe des
ILD, von der Zeitung „Economist“ immerhin als zweitwichtigster Think-Tank der Welt beurteilt, gerade darin, weltweit Regierungen zu beraten und, streng legalistisch, nichts ohne offizielle Genehmigung zu tun. Und dennoch gleicht das, was man sich hier vorgenommen hat, einer tickenden Zeitbombe im Kampf gegen Armut, Hunger und Korruption.
„Betreiben Sie etwa Mimikry, Senor Diaz?“
Erneut dieses freundliche, jedoch ein wenig unnahbare Lächeln. „Aber woher denn. Unser Programm liegt offen. Und Hernando hat Bücher darüber geschrieben, die auch ins Deutsche übersetzt worden sind.“ Haben wir doch gelesen, geniale Regieanweisungen einer stillen Revolution: „Marktwirtschaft von unten“ und „Freiheit für das Kapital“.
„Um es kurz zu machen: Uns geht es nicht darum, die Reichen ärmer, sondern die Armen reicher zu machen. Das fängt damit an, daß wir uns in jahrelangen Recherchen in den Slums, den Favelas, den Bidonvilles dieser Welt umgesehen und eine Entdeckung gemacht haben: Es liegt nicht an einer sogenannten kulturellen oder religiösen Identität, wenn Kapitalismus in diesen Ländern nicht funktioniert, schon gar nicht an der Hautfarbe.“ Es wird das erste und letzte Mal sein, daß während unseres Büro-Besuchs diese semi-autobigraphische Anspielung fällt. Soll etwa jenem doppelten Unglück – jahrhundertelange asoziale Dominanz der spanischstämmigen Oberschicht und im Gegenzug, ähnlich wie im Bolivien des Evo Morales, eine in vergleichbarem Rassenwahn propagierte Retourkutsche – ausgerechnet mit Büchern begegnet werden, dazu auch noch mit
Grundbüchern?
„
Das ist das A und O“, entgegnet Diaz ungerührt, während sein Blick kurz über die verspiegelten Hochhäuser gegenüber der breiten Fensterfront seines Büros schweift. „Bei unseren Recherchen haben wir herausgefunden, daß allein in Peru die sogenannten Ärmsten der Armen ein Vermögen von 74 Milliarden Dollar besitzen. Das ist vierzehn Mal so viel wie der Wert aller bisherigen ausländischen Investitionen! Dieses Geld wird in der Schattenwirtschaft verdient, in offiziell nicht zugelassenen Bus- und Taxiunternehmen, bei Klein- und Kleinsthändlern, in Schneidereien und Verkaufsständen. Weshalb aber in der Schattenwirtschaft? Weil es zum Beispiel in unserem Land 289 Tage dauern würde, um eine kleine Schneiderei zu eröffnen, weil man zuvor für Dutzende Genehmigungen zuerst einmal mehr als tausend Dollar an korrupte, regelwütige Bürokraten zahlen müßte. Weil dieses System die Armen ausbremst und nicht aufsteigen läßt. Diese Leute brauchen also weniger westliche Entwicklungshilfe, sondern Rechtssicherheit, Transparenz und bei auftretenden Problemen so etwas Wunderschönes wie die Möglichkeit einer Verwaltungsklage. Vergessen Sie auch nicht deren `Immobilienbesitz`: Hunderttausende von Wellblechhütten und Lehmhäusern, auf die allerdings keiner von ihnen einen Rechtstitel hat.“
Gegenfrage: Ist dies nicht etwas zu rational gedacht, eine kühle Idee kluger Planungsstäbe, deren Mitglieder von amerikanischen und europäischen Universitäten eine Kultur des calvinistischen Arbeitsethos mitgebracht haben, ein Vorsorge-Denken über den Tag hinaus?
Enrique Diaz zieht unmerklich die Augenbrauen hoch. „Könnte es sein, dass der Denkfehler bei Ihnen liegt?
Weshalb leben denn die Leute im sogenannten ´armen Süden´ nur für den Tag? Weil sich alles, was darüber hinaus geht, ihrem Einfluß entzieht! Weshalb sparen, wenn morgen die Inflation alles zunichte machen kann oder ein Minister mit den gesamten Goldreserven verschwindet? Weshalb Geld für ein Haus zurücklegen, wenn irgendein Wohlhabenderer mit Hilfe korrupter Gerichte das Grundstück einfach für sich fordern kann? Ich bin bestimmt kein Marxist, aber in einem hatte dieser Deutsche recht:
Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“
Genau hier setzt das Institut an. Das Grundbuch als ökonomisches Pendant zum eigenen Paß, Garantie dafür, daß irgendwann kein Slumbewohner mehr die Bulldozer der Regierung fürchten muß, daß die Masse des mühsam arbeitenden Geldes nicht mehr wie bislang totes Kapital bleibt, sondern legal versteuert, klug investiert oder vererbt werden kann. Die ersten, welche die Sprengkraft dieses auf den ersten Blick reichlich formalistischen Ansatzes entdeckten, waren nicht zufällig die bewaffneten Ideologen vom „Sendero Luminoso“, dem „Leuchtenden Pfad“. Die maoistischen Terroristen, die ab Anfang der achtziger Jahre Peru in einen Bürgerkrieg und staatlichen Gegenterror mit über siebzigtausend Opfern stürzten, wußten genau, daß ihnen die reaktionäre Oligarchie immer wieder Sympathisanten zutreiben würde, das kleine Institut dagegen mit seinem Reformansatz ungleich gefährlicher war: Menschen, die materiell etwas zu verlieren haben, sind nicht unbedingt geneigt, feudale Armut gegen sozialistisches Elend zu tauschen. ...
* Instituto Liberdad y Democrcia